Text Franz Joseph van der Grinten [2006]

Im Wandel gegenwärtig

Farben in ihrer Fülle geben im Abbild dem Augenblick scheinbare Dauer; wie schnell im wirklichen Leben wechseln sie mit ihm und sind dahin. Was das Bild uns wiedergibt, ist ein momentanes Angehaltensein in etwas, das bereits vergangen ist, wenn wir es sehen. Anders scheint es in der schwarz-weißen oder auf nur einen Klang reduzierten Aufnahme. Die feingestuften Valeurs geben dem gewählten Raum in der Fläche, die ihn hält, Tiefe und definieren die Nähe des Körperhaften, das in ihm in Erscheinung tritt, zum Auge dessen, der es anschaut; unabgelenkt ist der Blick darauf konzentriert: eine sich behauptende Präsenz auch des Flüchtigsten, da es ganz und gar in die Einheit des Ganzen verwoben ist. Ein Bild der Welt jedes derartige Bildwerk, will sagen, eine Bezeugung des Seins zu seiner Zeit in seinem ihm bestimmten Umraum: Bezeugung von Existenz zu ihren individuellen Bedingungen und in ihrer höchsteigenen Problematik. Das mag in vielen Fällen leicht genommen sein und wenig ins Gewicht fallen, in anderen kann es eine Schwere in sich bergen, die Last sein könnte. Alle menschliche Äußerung ist in die Weite dieses Bogens gespannt.

Christoph Heeks Photographien sind, eher dem Pol des Ernstes und der Dunkelheit genähert, Ausdrucksträger eines grüblerischen Nachsinnens über die Vergänglichkeit allen Seins. Die conditio humana ist die einer unausweichlichen Befindlichkeit zwischen Geburt und Tod mit der rückwärts gerichteten Frage, was vorher war, und der vorwärts gerichteten, was danach sein wird: woher kommen wir, wer sind wir, wohin gehen wir? Nur daß wir gehen werden, ist uns gewiß. Mag man nun, wie die Alten, das Leben als einen kurzen Traum einschätzen, der Spruch vita somnium breve hat in seiner Kürze und Prägnanz über die Zeiten immer wieder frische Empfindungen ausgelöst; mag man Leben als die Krankheit zum Tode ansehen oder als das Geworfensein in das Nichts; oder mag man es halten mit dem schönen, vom Glauben getragenen Lied, das uns als Gäste auf Erden darstellt, die rastlos wandernd einer ewigen Heimat zugewandt sind: Es gibt für den denkenden Menschen keinen Grund, die Tatsache, daß er lebt, als eine unbedeutende leicht zu nehmen. Sie ist für ihn zentral, wie er für seine Welt, die nur durch ihn existiert, zentral ist.

Christoph Heeks Stilmittel sind der Vergegenwärtigung des in Wandel sich behauptenden Seins gänzlich in den Dienst gestellt. Es sind im Ganzen die der Camera obscura, eines Photographierens ohne Linse, ohne Einfluß auf eine Veränderung der Blende im Ablauf der Aufnahme und ohne zeitliche Regulierung. Das Loch oder der Schlitz für den Lichteinfall hat bei ihm individuelle Varianten erfahren. Langzeitaufnahmen: etwas ereignet sich auf der Stelle und entwickelt sich per Überlagerung an diesem seinem Ort. Alles ist Phase, ein Hindurchgang durch eine Situation; Zeit dehnt und verengt sich der Lebensregung gemäß, so wird das ganz Diffuse gehalten durch das, was in längerem Verweilen klarere Umrisse erhalten hat. Leben als die letztlich und von Grund auf vitale Bewegtheit. Nach den Selbstbildnissen auf dem Totenbett, einer frühen und hoffentlich weit vorausgreifenden Darstellung der letzten Schwelle, sind die Bilder des in seine Dunkelheit befangenen und denn doch kraftvoll sich krümmenden, sich regenden, sich windenden, sich drehenden Leibes Zeugnisse des Lebens, seiner Tragik und seiner Würde, seiner Verletzlichkeit und seiner Kraft, seines Schwindens und seines Bleibens.

Text von Franz Josef van der Grinten (Mai 2006)